In Massachusetts hat ein junger US-Soldat zahlreiche Geheimdokumente geleakt – darunter brisantes Material zum Krieg in der Ukraine. Der Fall zeigt Mängel beim Geheimschutz. Wäre das in Deutschland auch möglich?
Es dauerte nur wenige Tage, nachdem der Leak öffentlich geworden war, bis die US-Behörden den mutmaßlichen Täter gefasst hatten. Am Ende war es anders, als zunächst vermutet: Nicht ein US-Geheimdienstmitarbeiter hatte das zum Teil geheime Material in Umlauf gebracht, sondern ein gerade einmal 21-jähriger Soldat, der bei der Nationalgarde in Massachusetts im Dienst ist und Zugang zu geheim eingestuften Dokumenten hat.
Tatsächlich fragt man sich vor allem, warum sich an diesem Standort geheim eingestuftes Material zum Ukrainekrieg befindet. Durchaus denkbar, dass das Pentagon den Verteiler für derartige Dokumente nun noch einmal überprüft.
Beim Bundesnachrichtendienst mag der eine oder andere den US-Leak mit einer gewissen Portion Genugtuung verfolgt haben. Schließlich sitzt dem BND, dem deutschen Auslandsnachrichtendienst, noch der jüngste eigene Skandal in den Knochen: Im Dezember war ein leitender BND-Mitarbeiter verhaftet worden. Der Generalbundesanwalt wirft Carsten L. vor, geheimes Material an den russischen Geheimdienst FSB weitergegeben zu haben.
Schmerzlicher Fall für den BND
Ein Verräter in den eigenen Reihen, der für einen gegnerischen Geheimdienst arbeitet, ist der Supergau für jeden Nachrichtendienst. Dementsprechend bitter war der Vorfall für den BND. “Peinlich” nannte ihn BND-Chef Bruno Kahl in einem Interview mit dem RBB und kündigte eine umfängliche Überprüfung der Sicherheitsmaßnahmen innerhalb des Dienstes an.
Die Ermittlungen des Generalbundesanwalts sind noch nicht abgeschlossen, aber nach allem was bisher bekannt geworden ist, soll Carsten L. sowohl Material in Papierform, als auch abfotografiertes Material an einen Mittelsmann übergeben haben.
Der Fall führte dem BND schmerzlich vor Augen, wie es um die Sicherheit im eigenen Haus bestellt ist. Und zwar gleich in zweierlei Hinsicht: Zum einen wurden Sicherheitsbestimmungen nicht eingehalten, denn Carsten L. konnte offenbar sein Privathandy mit in die Dienststelle nehmen – was dem Personal grundsätzlich verboten ist – und damit Material abfotografieren. Wer dringend erreichbar sein muss, kann ein Diensthandy nutzen, bei dem die Kamerafunktion aus genau diesem Grund deaktiviert ist.
Anlassunabhängige Taschenkontrollen finden nicht statt, sodass Carsten L. offenbar auch Material aus der Dienststelle heraustragen konnte. Bisher sind derartige Kontrollen im BND nicht zulässig. Dabei war Carsten L. nicht der erste Fall dieser Art: 2014 war Markus R. aufgeflogen, ebenfalls ein BND-Mitarbeiter, der sich vom US-Geheimdienst CIA hatte anwerben lassen. Er hatte über Jahre BND-Material an die US-Amerikaner weitergegeben.
Auch im Regierungsapparat gibt es Geheimdokumente
Gleichzeitig stellt sich die Frage, wie es um die Sicherheitsüberprüfungen der Mitarbeitenden im BND bestellt ist. Die letzte Überprüfung von Carsten L. dauerte insgesamt vier Jahre – was unter anderem mit der Coronsituation zusammenhing. Aber es zeigt auch, dass die Überprüfung offenbar immer wieder liegen geblieben ist.
Im Dienst soll L. mit Äußerungen aufgefallen sein, die nahelegen, dass es um seine Verfassungstreue nicht gut bestellt war. Konsequenzen hatte das jedoch nicht.
Der Fall zeigt: Es ist ganz und gar nicht unmöglich, geheimes Material aus einer deutschen Sicherheitsbehörde zu entwenden, wenn man dazu entschlossen ist. Grundsätzlich ist jedes Sicherheitssystem genauso sicher, wie es konsequent angewendet wird.
Doch nicht nur in Sicherheitsbehörden gibt es Geheimdokumente, sondern im gesamten Regierungsapparat – insbesondere im Kanzleramt und im Außen-, Verteidigungs- und Innenministerium. Darüber hinaus auch im parlamentarischen Raum, beispielsweise in den Kontrollgremien für die Nachrichtendienste, wo die Abgeordneten regelmäßig geheim eingestufte Informationen mitgeteilt bekommen. Wer sie verrät, macht sich strafbar.
Nicht einmal Notizen machen
Aus Sicherheitsgründen müssen sämtliche Handys vor Beginn der Sitzungen abgegeben werden. Allerdings werden dort keine geheim eingestuften Dokumente verteilt. Dem Parlamentarischen Kontrollgremium, aber auch dem Vertrauensgremium des Bundestags, das über die Haushaltsmittel für die Nachrichtendienste entscheidet, haftet seit Jahren der Ruf an, dass hier nichts geheim bleibt, was dort präsentiert wird. Bei Untersuchungsausschüssen verhält es sich ähnlich.
Geht es darum, geheim eingestufte Dokumente einzusehen, können nochmals verschärfte Bedingungen gelten, wenn die jeweilige Behörde dies für notwendig erachtet. Die Abgeordneten müssen dafür dann in die Geheimschutzstelle des Bundestages gehen, wo nicht nur Handys verboten sind, sondern außerdem nicht einmal Notizen gemacht werden dürfen.
Auch im parlamentarischen Raum müssen sich Mitarbeitende, die Zugang zu eingestuften Sitzungen oder zu geheimem Material haben, einer Sicherheitsüberprüfung unterziehen. Adressaten für eingestufte Dokumente oder Informationen sind dabei oftmals die Medien – unabhängig davon, wo diejenigen sitzen, die sie in Umlauf bringen. Die Beweggründe dafür sind höchst unterschiedlich. Von dem Bedürfnis, auf Missstände aufmerksam zu machen, bis hin zu Geltungsdrang und Wichtigtuerei ist alles dabei.