Einen inoffiziellen Preis hatte Googles neues Android-Smartphone schon vor der Vorstellung am Dienstagnachmittag gewonnen: Das Pixel 4 ist das Smartphone, das in diesem Jahr am häufigsten geleakt wurde, von dem also vorab schon viele Details bekannt waren. In den vergangenen Monaten tauchten unzählige Bilder auf: Sowohl kanadische als auch britische Händler stellten versehentlich Produktinformationen online, und Google selbst twitterte bereits im Juni ein offizielles Bild und verriet in einem Blogbeitrag einige der neuen Funktionen. Maximale Geheimniskrämerei wie bei Apple und seinem iPhone? Geschenkt.
Googles entspannter Umgang mit vorab veröffentlichten Informationen ist verständlich. Jedes Jahr, teilweise sogar stets in der gleichen Kalenderwoche, stellen die Hersteller ihre neuen Smartphones vor. Wirkliche Überraschungen gibt es selten. Ein etwas schnellerer Prozessor, klar, ein bisschen mehr Speicher, sicher, und aus einer Kamera wurden erst zwei, dann drei, inzwischen sind es in manchen Geräten wie in Huaweis Mate30 Pro sogar vier, die immer bessere Porträt- und Nachtaufnahmen liefern sollen. Anders gesagt: Die Käuferinnen und Käufer wissen ungefähr, was sie erwartet.
So überrascht dann auch das Pixel 4 kaum. Vielleicht dauerte die Produktvorstellung in New York deshalb nur eine knappe Stunde. Wie der Vorgänger ist Googles neues Smartphone in zwei Größen erhältlich: Das Pixel 4 hat eine Bildschirmgröße von 5,7 Zoll, das Pixel 4 XL ist mit 6,3 Zoll deutlich größer, aber bloß 30 Gramm schwerer.
Bei der Bildschirmgröße und -auflösung und einem etwas leistungsfähigeren Akku im XL hören die Unterschiede zwischen den beiden Modellen auch schon auf: Beide enthalten sechs Gigabyte Arbeitsspeicher, den gleichen Prozessor, einen neuen “Pixel Neural Core” (dazu gleich mehr) und die gleichen Kameras.
Im Vergleich zu den Vorgängern fällt auf: Google hat sich von seinem einzigartigen, aber durchaus umstrittenen Zweifarbendesign verabschiedet. Die matte Rückseite des Pixel 4 ist nun wie bei den meisten anderen Herstellern einfarbig. Erhältliche Farben sind Schwarz, Weiß und, mal was anderes, ein Orange in einer limitierten Auflage. Den Farbton bezeichnet Google als “Oh So Orange” und er ist, sagen wir, gewöhnungsbedürftig.
Dual-Kamera mit Chip zur Bildbearbeitung
Für Liebhaber sind auch die Kameras. Schon der Vorgänger hatte eine der besten Smartphone-Kameras, mit dem Pixel 4 möchte Google den Trend weiterführen. Das Unternehmen setzt dabei erstmals auf zwei Dual-Pixel-Kameras auf der Rückseite: eine mit 16 Megapixeln Auflösung und ein Weitwinkelobjektiv mit zwölf Megapixeln. Das ähnelt dem iPhone 11, ebenso wie die quadratische Anordnung des Kamerasystems auf der oberen linken Rückseite. Man könnte sagen: Mit dem Pixel 4 und dem iPhone 11 nähern sich Apple und Google an – jedenfalls im Design.
Wie genau die beiden Smartphones im Vergleich abschneiden, müssen die ersten Tests zeigen. Google wirbt in seinem Pixel 4 mit einem neuen “Pixel Neural Core”, einem zusätzlichen Chip, der vor allem für die Bildbearbeitung genutzt wird und die Weiterentwicklung des “Pixel Visual Core” ist. Einzelne Tester hatten ihn bislang als die “geheime Zutat” der Pixelreihe bezeichnet. Vereinfacht gesagt sorgt die Einheit dafür, dass vor allem Bilder bei schlechten Lichtverhältnissen oder mit viel Dynamic Range (HDR) besser zur Geltung kommen, weil das aufgenommene Foto noch einmal von einer Software bearbeitet wird. Puristen mögen diese “computational photography” hassen, andere aber loben die satten Farben und scharfen Porträts, die bislang aus dem Pixel kamen.
Mithilfe zwei neuer Regler in der Kamera-App sollen Fotografinnen mit dem Pixel 4 noch genauer die Helligkeit und Schatten anpassen können. Mit dem neuen Astrofotografie-Modus sollen zudem Langzeitaufnahmen von bis zu vier Minuten möglich sein. Dazu muss es aber idealerweise fixiert sein. So können Sterne und auch die Milchstraße am Nachthimmel abgelichtet werden. Vorausgesetzt natürlich, man findet einen Ort, an dem der Himmel auch dunkel genug dafür ist. In Deutschland muss man dazu unter Umständen etwas länger suchen. Die Rotation der Erde während der Langzeitbelichtung soll durch die Software ausgeglichen werden.
Zwei weitere Neuerungen verstecken sich auf der Vorderseite hinter dem im Vergleich zu anderen aktuellen Top-Smartphones verhältnismäßig breiten Rand über dem Display: eine neue Gesichtserkennung sowie ein Radarsensor.
Die Gesichtserkennung ist insofern wichtig, als dass das Pixel 4 keinen Fingerabdrucksensor mehr enthält, also keine andere biometrische Sicherheitsoption mehr anbietet. Google folgt damit Apple, das seine als Face ID bekannte Technik schon länger im iPhone einsetzt. Auch die Gesichtserkennung des Pixel 4 verwendet nicht nur die Frontkamera, sondern mehrere Sensoren, um Gesichter zu speichern – übrigens ausschließlich auf dem Gerät und nicht in der Cloud, wie Google sagt. Im Vergleich zu Apples Face ID ist dabei kein zusätzliches Wischen auf dem Bildschirm notwendig. Die Gesichtserkennung soll auch dann klappen, wenn das Smartphone nicht horizontal gehalten wird.
Sie funktioniert in Verbindung mit einem Radarsensor, der von Google in den vergangenen Jahren unter dem Namen Project Soli entwickelt wurde. Er ermöglicht berührungslose Interaktionen, sprich: Gestensteuerung. Erkennt der Sensor schon den Griff zum Smartphone, aktiviert das Pixel 4 automatisch die Gesichtserkennung – das Gerät wird entsperrt. Google behauptet, es sei die schnellste Gesichtserkennung aller Zeiten. Und tatsächlich funktionierte sie in einem ersten Test erstaunlich reibungslos.
Swipen in der Luft
Dank des Radarsensors lassen sich im Pixel 4 Apps auch per Gesten steuern. “Motion Sense” nennt Google die Technik. Manche mögen sich erinnern: Unter anderem Samsung hatte schon vor einigen Jahren eine Gestensteuerung in seinen Galaxy-Geräten vorgestellt. Sie funktionierte mäßig, auch weil sie zur Erkennung von Bewegungen Infrarot verwendete. Es handelte sich also um eine grundlegend andere Technik als das, was Google im Pixel 4 mit Soli versucht. “Es ist präzise und verbraucht wenig Energie”, sagte die Google-Managerin Sabrina Ellis während der Präsentation in New York. Fünf Jahre lang sollen die Forscher daran gearbeitet haben, den Chip so klein zu bekommen, dass er in den Gehäuserahmen des Smartphones passt.
Mit den Gesten sollen Nutzerinnen und Nutzer nun Anrufe ablehnen, Wecker stoppen oder Lieder überspringen können, etwa in Spotify: Ist “Motion Sense” aktiviert, reicht ein Wischen in etwa 20 Zentimeter Entfernung und schon hört man den nächsten Song oder lehnt den Anruf der Schwiegermutter ab. Eine kurze Bewegung über das ausgeschaltete Display reicht, um es kurz zu aktivieren, etwa, um die Uhrzeit zu checken. Insgesamt scheinen die Anwendungsmöglichkeiten noch begrenzt. Doch wie ein Google-Mitarbeiter nach der Vorstellung erklärte, sei es denkbar, künftig noch weitere, komplexere Gesten per Softwareupdate nachzureichen. Entscheidend wird sein, wie die App-Entwickler auf die Technik reagieren und ob sie ihre Software auch für Gestensteuerung optimieren.
Für Journalisten, Anwältinnen oder Studierende ist vielleicht noch der neue Smart Recorder interessant: Die App kann Gespräche aufnehmen und – das ist die Besonderheit – sie in Text transkribieren. Anschließend lassen sich die Aufnahmen nach Stichworten untersuchen. All das geschehe ebenfalls ausschließlich auf dem Gerät, betont Google, weder die Aufnahmen noch die Texte werden mit dem Unternehmen geteilt. Kleiner Dämpfer für alle, die sich nun erhoffen, einfach die nächste Vorlesung mit dem Smartphone aufzunehmen und transkribieren zu lassen: Der Smart Recorder wird zunächst nur in Englisch funktionieren.
Ein günstiges Pixel 4a ist bislang nicht geplant
Das Pixel 4 wird ab dem 24. Oktober ab 749 Euro in Deutschland erhältlich sein, das größere XL gibt es ab 899 Euro. Eine abgespeckte und günstigere Version, wie es sie mit dem Pixel 3a gab, wurde bislang noch nicht angekündigt. Das könnte sich aber ändern, denn das Pixel 3a erwies sich als Erfolg: Es trug maßgeblich dazu bei, dass sich die Verkaufszahlen der Pixelserie im vergangenen Jahr im Vergleich zum Vorjahr verdoppelten.
Denn trotz ihrer hochgelobten Kameras waren Googles Pixel-Smartphones bislang keine Verkaufsschlager: Noch im Frühjahr mussten die Verantwortlichen von Google den Investoren gestehen, dass die Verkäufe hinter den Erwartungen zurückblieben. Als ein Grund wurde der hohe Druck im Premiumsegment erklärt, wo vor allem Apple, Samsung und Huawei miteinander konkurrieren. Die Tatsache, dass die Konsumenten und Konsumentinnen nicht mehr jedes Jahr ihr Smartphone erneuern, trifft die gesamte Branche und somit auch Google.
Nach einem kurzen Test bleibt dann auch ein Fazit, das ähnlich erwartbar ist wie die Funktionen des vorab geleakten Pixel 4: Es ist ein Smartphone, das die Konkurrenz zum Samsung Galaxy S10 oder dem iPhone 11 nicht scheuen muss. Die Abkehr von der zweifarbigen Rückseite wird mit der auffälligeren orangenen Variante kompensiert. Die Kamera scheint einmal mehr exzellent zu sein. Und die Gestensteuerung per Radar mag zunächst ein Gimmick sein, könnte aber ein erster Einblick in die Zukunft des ambient computing sein, wie sie Googles Hardware-Chef Rick Osterloh zu Beginn der Präsentation beschwor. Ob sich seine Vision durchsetzt? Zumindest das wird erst mal ein Geheimnis bleiben.