Am Abend dann also doch noch. Kurz vor 21 Uhr vermeldete der FC Bayern München die Trennung von Niko Kovac, man veröffentlichte Statements von Karl-Heinz Rummenigge und Hasan Salihamdizic, auch Kovac ließ man in der Erklärung zu Wort kommen, auf der Webseite des FC Bayern wurde über der Meldung ein Bild gezeigt, das Kovac in Anzug und Krawatte zeigte. Man wahrte damit nach außen hin den Anstand, man wollte nicht den Eindruck erwecken, als jage man Kovac vom Hof.
Im offiziellen Sprachgebrauch war die Rede von gegenseitigem Einvernehmen, Kovac durfte damit noch in Würde die Säbener Straße verlassen, eine Ehre, die nicht jedem seiner Vorgänger vergönnt war. Nichtsdestotrotz war es nichts anderes als ein Rauswurf.
Natürlich hätte Kovac sehr gerne noch weitergemacht, Kovac war und ist nicht der Typ, der von sich aus aufgibt. Noch am Samstag, nach dem 1:5-Debakel in Frankfurt, hatte er gesagt, er sei keiner, der hinschmeiße, sondern ein Kämpfer.
Das 1:5 war nicht die Ursache. Nur der Auslöser
Doch für die Klubführung gab es nach dieser Niederlage kaum eine andere Möglichkeit. Das 1:5 war nicht die Ursache für die Entlassung. Es war nur der finale Auslöser.
So sehr den ganzen Sonntag über gemutmaßt worden war, dass Kovac noch bei den Spielen am Mittwoch gegen Piräus und am Samstag gegen Borussia Dortmund auf der Bank sitzen würde, bevor sich die Vereinsführung in der anschließenden Länderspielpause mit einem Nachfolger befasst – und so überraschend es war, dass die Verkündung erst am Abend erfolgte und nicht schon tagsüber: Letztlich war die Entscheidung, nun ad hoc die Reißleine zu ziehen, nur konsequent
Ein verkorkstes Spiel gegen Piräus hätte man noch halbwegs verkraften können. Die Qualifikation fürs Achtelfinale der Champions League ist nur noch Formsache. Aber Dortmund?
Einen weiteren Ausrutscher, eine Pleite, noch eine Demütigung gar, das hätten sie sich nicht leisten dürfen. Denn so indisponiert wie die Mannschaft in Frankfurt auftrat, ganz unabhängig von der Schwächung durch den frühen Platzverweis gegen Jérôme Boateng, so aufreizend lustlos und destruktiv, das ließ nur das Schlimmste befürchten für das Topspiel am kommenden Samstag.
Das große Rätsel bleibt, was Kovac antrieb, die Kabine innerhalb nur weniger Wochen mit sonderbaren Äußerungen so zu verlieren. Sicher, leicht war das Verhältnis zwischen ihm und den Spielern nie, er war keine Vaterfigur wie Jupp Heynckes und er war auch kein Stratege wie Pep Guardiola, dem zwar die Herzenswärme gefehlt haben mag, der aber alleine mit seiner Philosophie die Spieler für sich faszinierte und gewann. Mit Kovac hatten manche Spieler immer schon Probleme, vergangenes Jahr allen voran Mats Hummels und James Rodríguez, die beide im Sommer den Klub verließen.
Selbst Kritiker Rummenigge lobte Kovac deutlich
Kovac aber gewann dazu, er verschaffte sich immer mehr Autorität, und eigentlich hatte man vermutet, dass das sicher zu hohe 7:2 Anfang Oktober bei Tottenham als sein erster großer Sieg in der Champions League auch sein Durchbruch beim FC Bayern war. Die Kritiker schienen überzeugt – Karl-Heinz Rummenigge etwa, der immer gerne an Kovac herummäkelte, bei der Bankettrede nach dem Triumph bei den Spurs aber nicht umhinkam, auch den Trainer deutlich zu loben.
Wie unvorstellbar war an jenem Abend im Mannschaftshotel im Londoner Stadtteil Shoreditch der Gedanke, dass Kovac keine fünf Wochen später Geschichte sei bei den Bayern? Aus welchen Gründen auch immer, Kovac demontierte sich in den vergangenen Wochen selbst.
Er nannte Thomas Müller einen Notnagel, sprach seiner Mannschaft die Qualität ab, mit dem Tempofußball großer Mannschaften wie dem FC Liverpool mithalten zu können. Mehr noch, er schien nicht imstande, öffentlich Selbstkritik zu üben, grundsätzlich schob er zuletzt alles auf die Spieler. Dass das in einer Mannschaft nicht gut ankommt, ob beim Schlusslicht der Kreisklasse oder beim Topteam der Bundesliga, und dass man die Akteure gegen sich aufbringt, wenn man sich nicht schützend vor sie stellt, hätte er wissen müssen.
Kovac verrannte sich, er spaltete, manchmal gewann man den Eindruck, als provoziere er gar die Eskalation.
Sein Auftreten hatte Stil
Kovac hat sich in seinen eineinhalb Jahren beim FC Bayern immer korrekt verhalten. Angenehm im Umgang und nie laut polternd wie seine Klubbosse noch vor einem guten Jahr bei der Pressebeschimpfungskonferenz. Sein Auftreten hatte Stil, er gab sich immer ehrlich und so, wie er war. Letztlich aber trat ein, was schon bei seiner Verpflichtung spekuliert worden war: Dass er zwar das Zeug hat, Mannschaften wie Eintracht Frankfurt zu führen. Dass der FC Bayern aber noch ein anderes Kaliber ist. Ein zu großes für Kovac.
Kovac ist noch jung, er wird sich womöglich noch so entwickeln, dass er eines Tages wieder bei einem Topklub unterkommt. Im Moment fehlte ihm dafür die Reife.
Sie hatten es versucht, am Ende ist der Versuch gescheitert. So sehr sich auch die Klubbosse hinterfragen müssen, ob sie zumindest im vergangenen Jahr aufgrund schlechter Kaderplanung und fehlender Strategie nicht auch Mitschuld an der Krise des Klubs tragen: An diesem Sonntag gab es keine andere Wahl. Die Trennung von Niko Kovac war alternativlos.