Im spanischen Granada beraten die EU-Mitglieder heute nochmals über aktuelle Streitthemen. Im Fokus steht neben der Migrationspolitik auch der Blick in die Zukunft und auf eine möglicherweise deutlich größere EU.
Trotz der schwierigen Einigung unter den EU-Ländern auf die Asyl-Krisenverordnung ist Rom auf Berlin weiterhin schlecht zu sprechen. Es geht um die deutsche finanzielle Unterstützung für Nichtregierungsorganisationen, die Bootsmigrantinnen und -migranten an Land bringen. Aus Sicht der italienischen rechtsnationalen Regierung konterkarieren die Seenotretter den Kampf gegen irreguläre Migration über das Mittelmeer.
Italiens Premierministerin Giorgia Meloni wird Bundeskanzler Olaf Scholz am Rande des informellen EU-Gipfels wohl darauf ansprechen und dürfte nicht mit leeren Händen nach Hause gehen wollen – so wie am Donnerstag bereits der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj mit seiner Forderung nach mehr Unterstützung gegen russische Raketenangriffe in den Wintermonaten.
Scholz sieht Asylpaket nicht gefährdet
Scholz sieht trotz der Differenzen mit Rom die Einigung zum Asylpaket nicht gefährdet. Er betonte am Donnerstag, dass mit der Verständigung unter den Ländern bislang ein Fortschritt erreicht worden sei, den viele noch nicht ermessen könnten.
Gemeint ist das lange Hin und Her bei den EU-Innenministerinnen und -ministern, die in unzähligen Sitzungen jahrelang kaum vorangekommen waren. Der Asyl- und Migrationspakt wurde im September 2020 von der EU-Kommission neu auf den Weg gebracht, als die Gespräche hoffnungslos festgefahren waren.
In einem entscheidenden Punkt ist tatsächlich etwas gelungen: Seit der Einigung der Länder auf alle Einzelteile der Reform können die Verhandlungen mit dem EU-Parlament über die endgültige Fassung des gesamten Pakets beginnen.
Die Zeit wird knapp
Trotzdem drängt die Zeit. Die EU will Entschlossenheit zeigen, dass sie vor der kommenden Europawahl 2024 eines der größten Probleme lösen kann. Die gemäßigten Parteien und Regierungen wollen beweisen, dass sie handlungsfähig sind und damit Rechtspopulisten den Wind aus den Segeln nehmen. Aber die Verhandlungen mit dem Parlament dauern meist Monate, insofern wird es knapp. Störgeräusche, die die bisherige Einigung infrage stellen wollen, wirken dabei irritierend.
Denkbar ist, dass Polen und Ungarn eine Gipfelerklärung zur Migration blockieren wollen. Sie hatten schon die Einigung zur Krisenverordnung nicht mitgetragen und fühlen sich in der Asyldebatte übergangen – ungeachtet dessen, dass keine einstimmigen Beschlüsse erforderlich waren.
Beim Treffen in Granada soll es nicht nur um das Asylpaket gehen, das erst in einigen Jahren vollständig greifen wird. Auch wird erwartet, dass die Staaten den informellen Gipfel dazu nutzen, um über weitere aktuelle Entwicklungen bei der Migration zu sprechen.
Eine Rolle spielen dürfte dabei das Abkommen mit Tunesien. Zuletzt hatte es Zweifel gegeben, ob das autokratisch regierte Land überhaupt ein verlässlicher Partner sein kann. Die EU bietet dem Land eine Milliarde Euro an Finanzhilfen und zählt darauf, dass Tunesien hilft, die Überfahrten von Booten Richtung Italien zu stoppen.
Blick auf eine künftig größere EU
Darüber hinaus will EU-Ratspräsident Charles Michel mit den Staaten darüber sprechen, wie die EU fit gemacht werden soll für die Aufnahme neuer Mitglieder. Ganz konkret: Welche Reformen notwendig wären, wenn die Europäische Union einmal aus 30 und mehr Mitgliedern bestehen würde – solchen wie der Ukraine oder Moldau, die sich schon Ende des Jahres eine Eröffnung der Beitrittsverhandlungen erhoffen. Und irgendwann später auch Georgien oder die Westbalkan-Staaten.
Denn mit mehr Mitgliedern würde vieles schwieriger werden, wie schon die Migrationsdebatte zeigt. Einstimmige Entscheidungen würden unwahrscheinlicher. Insofern schlagen mehrere Länder vor, allen voran Deutschland, mehr auf Mehrheitsentscheidungen überzugehen. Berlin und Paris haben Wissenschaftler beauftragt, Vorschläge zu unterbreiten. Ihre Kernnachricht: Einstimmigkeit nur noch in zentralen Fragen, in allen anderen Bereichen mehr Flexibilität.
Droht ein Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten?
Das könnte zu einem Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten führen. Länder wie Polen und Ungarn würden Staaten nicht mehr aufhalten können, die sich für mehr europäische Integration einsetzen. Gleichzeitig könnten sich womöglich Polen und Ungarn auch auf Kernbereiche zurückziehen, in denen sie noch europäisch handeln wollen. Das ist ohnehin ihr erklärtes Ziel.
Ebenso geht es darum, wie die EU-Institutionen funktionsfähig bleiben können, wie groß die EU-Kommission noch sein darf, die voraussichtlich mit mehr als 30 Mitgliedern wenig effizient sein dürfte, ebenso wie ein EU-Parlament mit zu vielen Abgeordneten.
Problem ist allerdings, dass sich viele Länder von der Reformdebatte überrumpelt fühlen. Für Irritationen sorgt unter anderem, dass EU-Ratspräsident Michel eine Erweiterungsrunde für das Jahr 2030 ins Auge fasst. Manche Länder aber fordern, dass nicht der Kalender, sondern die Fortschritte in den Beitrittsverhandlungen ausschlaggebend sind, wann die EU neue Mitglieder aufnimmt.