Seit 2023 gelten neue Bestimmungen für Biodiesel – in Deutschland ist die Verwendung von frischem Palmöl nicht mehr erlaubt. Doch Hinweise mehren sich, dass bei Importen aus Asien die Regeln umgangen werden.
Es gibt Stoffe, die sind allgegenwärtig und dennoch kaum sichtbar. Biodiesel ist so ein Stoff. Jeder Dieselfahrer in Deutschland tankt Biodiesel. Die Mineralölunternehmen können den Treibstoff dem fossilen Diesel bis zu sieben Prozent beimischen, um gesetzlich vorgeschriebene Klimaziele zu erreichen. Bis Ende 2022 wurde viel Biodiesel auf der Basis von frischem Palmöl hergestellt, doch dessen Klimabilanz ist zu schlecht. Seit diesem Jahr wird dieser Palmölbiodiesel in Deutschland nicht mehr akzeptiert.
Kurz bevor die verschärften Regelungen für den Biodiesel in Kraft traten, bemerken Marktteilnehmer dramatische Veränderungen auf dem Weltmarkt. So auch Claus Sauter. Er ist Vorstandsvorsitzender des deutschen Verbio-Konzerns. Seine Firma ist ein großer Player am Markt für Biotreibstoffe. “Wir haben beobachtet, dass der Import von Biodiesel aus China sprunghaft angestiegen ist. Die haben sich vervielfacht”, so Sauter. Er habe daraus geschlossen, dass etwas nicht mit rechten Dingen zugehe.
Auffällige Importzahlen
Mit den steigenden Importen aus China kamen in Europa Zweifel auf, ob der importierte Biodiesel wirklich frei von frischem Palmöl ist. Deklariert sind die China-Importe offenbar meist als Biodiesel aus altem Speisefett oder Abwasser aus der Palmölproduktion. Dieser Biodiesel aus Abfallstoffen ist in Europa zulässig. Für die Importeure ist dieser Biodiesel sogar besonders attraktiv, weil er teilweise doppelt auf die Treibhausgas-Reduktion angerechnet werden kann. Einfach ausgedrückt entspricht dabei eine Tonne Abfallbiodiesel zwei Tonnen Klimagutschrift.
Zeitgleich mit den steigenden Exporten des Biodiesels nach Europa importierte China plötzlich immer mehr Biodiesel auf Basis von frischem Palmöl aus Indonesien und Malaysia, obwohl es in China keinen nennenswerten Verbrauch des Biotreibstoffs gibt. Marktbeobachter vermuten ein einfaches Umettiketieren der Ware und den Weiterverkauf nach Europa. Denn im fertigen Biodiesel ist später kaum feststellbar, ob bei der Produktion frisches Palmöl oder altes Speisefett zum Einsatz gekommen ist.
“Es geht wirklich um viel Geld. Das ist attraktiver als Drogenhandel”, sagt Sauter. Nach Angaben des Preisinformationsdiensts Argus Media waren in diesem Jahr Gewinne von 300 bis 565 Dollar pro Tonne möglich. Insgesamt dürfte es um Profite in Höhe von mehreren hundert Millionen Euro gehen.
Umettikettiert und weiterverkauft?
Recherchen von Panorama 3 legen nahe, dass die Umetikettierung der Ware unter anderem in einem Hafen auf der Insel Hainan im südchinesischen Meer stattfindet. Ein Biodieselhändler schildert einen Besuch dort. Aus Angst vor Konsequenzen für sein Unternehmen will er unerkannt bleiben.
Anfang 2023 sei er auf der Insel Hainan gewesen, um sich ein Tanklager anzusehen. Da sei ihm erzählt worden, dass in einem riesigen Tank Biodiesel gesammelt würde, um damit ein Seeschiff nach Europa beladen zu können. “Ich fragte: Wo kommt das denn her? Ich erfuhr: Aus China und aus Indonesien.” Biodiesel aus Palmöl und Biodiesel aus altem Speisefett sei in einem Tank gelandet, berichtet der Zeuge.
“Da ist mir dann klar geworden, dass hier ein Spiel gespielt wird.” Hier sei Palmölbiodiesel auf dem Papier zu Speisefettbiodiesel gemacht worden, meint der Zeuge. Belegen lassen sich diese Angaben allerdings nicht. Die Hafengesellschaft in Hainan beantwortete Fragen nicht. Auch die chinesische Botschaft in Berlin ließ Fragen unbeantwortet.
Viele Mineralölunternehmen, die den chinesischen Biodiesel mutmaßlich erworben haben, wollen sich nicht konkret zu dem Thema äußern oder geben an, sich beim Handel an alle Regeln gehalten zu haben. Diese Regeln im Biodieselgeschäft haben jedoch offenbar nicht verhindert, dass es zu massiven Marktverzerrungen gekommen ist. Das mag auch daran liegen, dass das Regelwerk in der EU kompliziert aufgebaut ist und am Ende nicht immer klar zu sein scheint, wer tatsächlich die Verantwortung für Fehler im System übernimmt.
Komplexes Prüfsystem
Ein mehrstufiger Prüfprozess soll Missbrauch verhindern. Verantwortung für Missstände bei den Kontrollen im Markt möchte aber scheinbar niemand übernehmen. Die EU hat insgesamt 15 Zertifizierungssysteme anerkannt, bei denen sich Biodieselproduzenten und Händler zertifizieren lassen können, wenn sie “nachhaltige Biokraftstoffe” verkaufen.
Das mit Abstand größte ist die International Sustainability and Carbon Certification (ISCC), eine Firma mit Sitz in Köln. ISCC beantwortet keine Fragen und verweist auf Informationen auf der Webseite. Nach Aufkommen erster Betrugsvorwürfe im Frühjahr forderte die ISCC demnach Auskünfte von den zertifizierten Unternehmen an. Mehreren chinesischen Firmen wurden daraufhin die Nachhaltigkeitszertifikate entzogen. Warum dies im Einzelfall erfolgt ist, erklärt ISCC nicht. Für die Zukunft verspricht das private Unternehmen Verbesserungen des Systems.
Das Zertifizierungssystem ISCC sieht offenbar die Verantwortung für die entstandenen Probleme nicht in erster Linie bei sich. Denn ISCC kontrolliert die Unternehmen nicht selbst, sondern überlässt dieses Geschäft Prüfgesellschaften, sogenannten Auditoren. Diese wiederum werden jeweils von einer staatlichen Behörde überwacht. Für deutsche Auditoren ist die Bonner Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) verantwortlich, die dem Bundeslandwirtschaftsministerium untersteht.
Zwar dürfen BLE-Mitarbeiter in Europa Auditoren bei ihrer Arbeit in Biodieselanlagen über die Schulter schauen, aber nicht in China. China ließe das nicht zu, bestätigt die BLE. Europäische Prüfgesellschaften arbeiten in China häufig mit lokalem Personal. Auf dem Papier werden dabei offenbar alle Regeln eingehalten.
Keine Konsequenzen für europäische Käufer
Auditor Rüdiger Meier aus Braunschweig, der mit seinem Unternehmen ebenfalls Biotreibstoffanlagen kontrolliert, zweifelt allerdings daran, dass in Asien immer alles mit rechten Dingen zugeht. Er habe in Asien zahlreiche Biodieselanlagen geprüft, doch blieben dort oft “Zweifel offen, ob das, was dort zertifiziert werden soll, tatsächlich stattfindet”, so Meier. Es gebe dort “offensichtlich zu viel Interpretationsspielraum” bei der Prüfung.
Für die Käufer in Europa ist das am Ende egal. Ein einmal ausgestelltes Zertifikat genießt im Markt Vertrauensschutz. Falls sich später herausstellen sollte, dass der eingekaufte Biodiesel nicht nachhaltig ist, müssen sich Unternehmen hierzulande nicht sorgen. Das ärgert wiederum Unternehmer Sauter: “Mineralölgesellschaften, die dieses Zeug gekauft haben, brauchen keinerlei Konsequenzen fürchten.”
Aufklärung fraglich
Nicht nur Sauter, sondern auch einige mittelständische Mineralölunternehmen fordern nun eine lückenlose Aufklärung der Vorfälle. Ob es dazu tatsächlich kommt, ist mehr als fraglich. Die BLE teilt mit, nach Aufkommen von Betrugsvorwürfen habe man sofort die EU-Kommission informiert und Strafanzeige gestellt. Allerdings hat die zuständige Staatsanwaltschaft Bonn Ermittlungen bereits abgelehnt. Der Sachverhalt falle “unter keine strafrechtliche Vorschrift”.
Zwar beschäftigt sich nun auch die EU-Kommission mit dem Vorfall. Ob und wann diese Ermittlungen zu einem konkreten Ergebnis führen, ist aber offen. Die Einführung einer neuen EU-weiten Datenbank (Union Database, UDB) soll künftig immerhin besser nachvollziehbar machen, woher Rohstoffe für die Biotreibstoffproduktion konkret kommen. Das soll Transparenz in einen bislang undurchsichtigen Markt bringen.